2. Almerlin und die Wiener Werkstätte… die Ziele und Ideale der WW

Die Wiener Werkstätte – Kunst und Handwerk vereint: Stoffe im Jugendstil und Bauhausstil als Teil eines Gesamtkonzeptes

Mit Almerlin bin ich zunächst auf die Wandteppiche von Mucha, später Klimt und die englischen Jugendstilkünstler William Morris, Edward Burne-Jones und Edward Blair-Leighton, getroffen und dann habe ich nach und nach auch Jugendstilstoffe entdeckt…die Designs der Wiener Werkstätte sind der bisher tollste Fund. Die Ideen, die hinter dem Schaffen der WW stecken und das, was durch sie erschaffen wurde und in gewisser Weise den Weg in die Moderne ebnete, fasziniert mich und lässt mich nicht mehr los. Je mehr ich darüber recherchiere und mit jeder neuen Entdeckung zu den Künstlern und ihren Ambitionen, ziehen mich die Stoffe tiefer in ihren Bann und ich freue mich einmal mehr, dass diese Muster heute noch…und wieder gewebt werden. Auch dieses Jahr gibt es eine neue Kollektion mit Josef Hoffmann Stoffen, die so schön ist, dass ich sie in einem eigenen Beitrag vorstellen werde.

Jugendstilstoffe_der_Wiener_Werkstaette_josef_Hoffmann
Die Gründer der Wiener Werkstätte verfolgten nach Jahrzehnten des Neo-Klassizismus, Neo-Barock, der Neo-Gotik und Neo-Renaissance den Weg eines gesamtheitlichen Konzeptes in neuen, eigenen Designs. Nicht mehr nachmachen oder Altes neu interpretieren, sondern modernes, neuartiges Design in einer neu designten Architektur war ihr Ziel. Jedes Detail am Haus, im Garten und jedes Detail im Haus – jedes Objekt, jedes Möbelstück, jede Form der Wand- und Bodengestaltung – sollten Teil eines Designeinheitlichen Konzeptes sein UND handwerklich qualitativ hochwertig ausgeführt sein.
Die Wiener Werkstätte wollte dem modernen, zweckmäßigen und handwerklich hervorragend gearbeiteten Gebrauchsgegenstand zum Durchbruch verhelfen. Eine ganzheitliche Durchdringung aller Lebensbereiche nach ausschließlich ästhetischen Kriterien, stellten sich die Gründer Professor Josef Hoffmann und Koloman Moser vor.
„…Sollten wir vergessen haben, dass der Umgang mit schönen Dingen uns selbst verschönt?“, steht im Arbeitsprogramm von 1905

„Es kann unmöglich genügen, wenn wir Bilder, und wären sie auch noch so herrlich, erwerben. Solange nicht unsere Städte, unsere Häuser, unsere Räume, unsere Schränke, unsere Geräte, unsere Kleider und unser Schmuck, solange nicht unsere Sprache und unsere Gefühle in schlichter, einfacher und schöner Art den Geist unserer eigenen Zeit versinnbildlichen, sind wir unendlich weit gegen unsere Vorfahren zurück und keine Lüge kann uns über all diese Schwächen täuschen.
Es sei noch gestattet, darauf aufmerksam zu machen, dass auch wir uns bewusst sind, dass unter gewissen Umständen mit Hilfe von Maschinen ein erträglicher Massenartikel geschaffen werden kann; derselbe muss dann aber unbedingt das Gepräge der Fabrikation tragen. Wir halten es nicht für unsere Aufgabe, jetzt schon dieses Gebiet zu betreten….“
Josef Hoffmann und Koloman Moser im Arbeitsprogramm von 1905

Postkarte der WW mit dem Stoff "Apollo" von Josef Hoffmann 1912
Postkarte der WW mit dem Stoff „Apollo“ von Josef Hoffmann 1912
Stoffmuster "Apollo" der WW Entwurf Prof. Josef Hoffmann 1910-1911
Stoffmuster „Apollo“ der WW Entwurf Prof. Josef Hoffmann 1910-1911

Die Wiener Werkstätte sah sich als künstlerisch-handwerkliche Produktionsgenossenschaft für künstlerisch-einfühlsames Publikum (Wiener Großbürgertum).
Die WW eine der ersten Marken, die sich als Brand etablierte. Sie erkannte früh, dass eine Marke Marktmacht bedeutet. Künstlermonogramme, Meisterpunzen und Wortmarke waren Grundlage des Images. Es gab eine umfassende „Corporate Identity“ – Niederlassungen und Verkaufslokale, Briefpapier, ab 1907 Künstlerpostkarten. Die WW war eine der historischen Avantgarden der modernen „Consumer Culture“.
Designerpunze + Punze des ausführenden Meisters = Kunst + Handwerk

Gedankensplitter:

Hermann Bahr zur Gestaltung eines modernen Innenraums:
„Der erste Gedanke in der Reihe ist der von Morris gewesen (…) Der Handwerker soll zum Künstler werden. Den zweiten Gedanken haben wir von den Amerikanern (…) Der Künstler soll zum Handwerker werden. Den dritten Gedanken haben uns Bing und Van der Velde gegeben: die Forderung der Harmonie. Ein Zimmer ist kein Museum, jedes seiner Dinge muss sich auf das andere beziehen, der Leuchter muss sich mit der Tapete reimen (…).“

Jeaneret Le Corbusier: Kunst ist das unentbehrlich Überflüssige

A.F.S.: „Zweckkunst“, in: Neue Freie Presse 1906:
„Die beiden Elemente – das praktische und das ästhetische – gehen nebeneinander her, ohne eine organische und gar kausale Verbindung. Ebensowenig, wie etwas schon darum nützlich ist, weil es schön ist, ebensowenig ist etwas schön, weil es nützlich ist. Das ist eine so einfache und klare Tatsache, daß es kaum der Mühe wert erscheint, sie ernstlich zu diskutieren. Gleichwohl stellt man neuerdings eine dem gerade entgegengesetzte Theorie auf: was zweckmäßig (im praktischen Sinne) ist, ist auch schön. Artis soladomina necessitas! Freilich, die diese Theorie verfechten, sind Architekten und Kunstgewerbler, ihnen muss es sich ja darum handeln, benützbare Wohnstätten, Räume, Gegenstände zu schaffen. Falsch ist aber, wenn sie glauben, der ästhetische Wert ihrer Schöpfungen liegt schon in dem praktischen mit eingeschlossen….“

Jugendstilstoffe_der_Wiener_Werkstaette_josef_Hoffmann2…über Josef Hoffmann:
„Die edle Einfachheit der aus dem Material geborenen Form ist ja sein Bekenntnis und war eine wichtige Triebkraft für die stilgemäße Ausbildung unseres modernen Kunstgewerbes.“ Schober in: Merkur 1920
…über Dagobert Peche:
„Eine neue Richtung, die mehr das Dekorative auf Kosten des Materials und der Form hervortreten lässt und die den Stilgedanken der Zweckgestaltung durch eine ausgesprochen historisierende Orientierung ersetzen will…von denen D.P. sicher die eigenartigste Persönlichkeit ist.“ Schober in: Merkur 1920

im Gegensatz dazu: künstlerischer Entwurf von industriellen Massenkonsumgütern (Van de Velde, Toulouse-Lautrec, Behrens-AEG)
>> Modernisten, Vorläufer Bauhaus, die sich auf das „Massenhafte des industriellen Designs“ hin orientierten
1906: in den Dresdner Werkstätten entstehen erste Maschinenmöbel von Richard Riemerschmied: „….’künstlerische‘ Maschinenmöbel, die den sozialen Erfordernissen entsprachen und einen kulturellen Beitrag durch den guten Entwurf und qualitätsvolle Materialien lieferten. Das Konzept bestätigte sich durch die rege Nachfolge.“ (Zeitzitat)

Ab dem Ende des ersten Jahrzehnts:
Kunst als reiner Kunstausdruck ohne Funktion versus Lehre des Bauhaus: Alltagsgegenstände entwickeln, die die Bedürfnisse einer demokratischen Gesellschaft erfüllen – zweckmäßig, geradlinig, schmucklos

Peter Noever zum 100jährigen Jubiläum der Wiener Werkstätte: „Kunst, Handwerk, Industrie sind daher nicht Instrumente oder Werkzeuge zur Errichtung einer (zukünftigen) Welt – wozu die Theorie die Anleitung geben soll -, sondern Äußerungsformen, in der die Sinnlichkeit sich artikuliert, um ihre Gegenwart zu gestalten.“

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