(2) Mittelalter:“Was gab es ab wann?“ – interessante (alte) Quellen zur Recherche

Eine durchaus vergnügliche Reise durch die Besonderheiten und Absonderlichkeiten „authentischer“ mittelalterlicher Gewandung des 14. bis 16. Jahrhunderts – recherchiert in Kleiderordnungen, aber auch Polizeiordnungen und Chroniken, auf Altar- und Tafelbildern, auf alten Kupferstichen und in Buchzeichnungen

Im Bezug auf, was es ab wann und in welcher Ausfertigung (gewisse Schnitte, Kleidungsstücke, Formen, Verzierungen, Accessoires) gegeben hat, bilden Kleiderordnungen, aber auch Polizeiordnungen und Chroniken eine sehr gute Quelle. Verbieten oder maßregeln musste man ja nur etwas, was es (immer) häufiger gegeben hatte, keine „absonderlichen“ Einzelfälle. So kann man auch davon ausgehen, dass es die beschriebenen Details schon einige Zeit vorher gegeben hat.

Was dabei zu bedenken ist:
1. Alles, was uns aus der Zeit damals vorliegt – Schriften, Buchzeichnungen, Predigten, Gemälde – wurde von Männern verfasst und gezeichnet, außerdem saßen in Stadträten nur Männer, in Konzilen, der Polizei, der Stadtschreiberei, es waren nur männliche Prediger unterwegs, die Missstände anprangerten und Verordnungen und Erlasse verfassten. Darum gibt es verständlicherweise keine Aufzeichnungen über alles, was mit dem weiblichen „Drunter“ zu tun hat, ob Unterwäsche, Strumpf- oder Beinlingsbefestigungen, Hygienewäsche, Stillwäsche etc.. Das bedeutet aber ganz gewiss nicht, dass es das alles nicht gegeben hat, schon aus rein praktischen Gesichtspunkten heraus nicht!
Thema weibliche Unterhose:
Folgendes Szenario: die Ernte muss eingefahren werden, da das Wetter umschlägt, jede Hand wird gebraucht, aber Bauersfrau Berta liegt im Bett, weil sie „unrein“ ist: „Neee Mann, ich kann nicht helfen, ich darf doch keine Unterhose tragen, die gibt es doch laut Aufzeichnungen nicht und nicht zu vergessen, ich darf ja nicht die Hosen anhaben?!?“ 😉 Und im Winter Blasenentzündung weil kalt weil nix drunter? Die kostbaren Seidenstoffe wurden bis zum kleinsten Stückchen verarbeitet, weil sie so wertvoll waren, aber eine Verschmutzung (und Seide lässt sich sehr schwer reinigen) wurde in Kauf genommen, wenn eine adlige Dame nach der Geburt in der Öffentlichkeit auftreten musste und nicht das Wochenbett einhalten konnte (das man lieber mehrfach am Tag neu bezog, anstatt Unterwäsche mit Einlage zu tragen?!) 😉 . Wie ist es denn bei entsprechenden „Events“ – Turnieren, Hochzeiten, Krönungen…zu denen man teilweise von weither anreiste? Gibt es auch nur eine Aufzeichnhng, daß eine Dame von Stand oder ihre Kammerzofe nicht angereist wäre oder nicht teilgenommen hätte, weil sie unrein war??? Oder sollte man tatsächlich davon ausgehen, daß ausschließlich Ob. benutzt wurde? ..Glaub ich schonmal überhaupt nicht. Ich denke einfach, in diesem speziellen Punkt muss Frau bei der geschichtlichen Darstellung vom gesunden Menschenverstand und ihrem persönlichen Wohlbefinden ausgehen und nicht von „das hats nicht gegeben, weil nichts darüber geschrieben steht“. BH’s hats ja schließlich auch gegeben! 😉 😉 😉
💡 das ist meine persönliche Meinung – ich kenne keine Frau, die sich heute vom Mann sagen lassen würde, wie sie mit ihrer Menstruation oder empfindlichen Nieren/ Blase umzugehen hat und im Mittelalter wurde noch nicht mal drüber gesprochen.

2. Speziell Kleider- und Polizeiordnungen wurden von nun ja älteren Männern erlassen, die rein figürlich längst nicht mehr jede Mode mitmachen konnten und…sagen wir mal das Ungestüm der Jugend zügeln wollten, wenn sie schon nicht mehr mithalten konnten. Ist das heute anders? Seit eh und jeh regen sich die „Alten“ über die „Jungen“ auf und die Jungen rebellieren, wollen sich abgrenzen. Es ist also davon auszugehen, daß etliche der beschriebenen Moden vorwiegend von den „jungen Wilden“ und den „Junggebliebenen“ getragen wurden und nicht von gestandenen Mannsbildern und ausgewachsenen Frauen. So manche Bürgersfrau wird auch ihren Mann gedrängt haben, im Rat etwas gegen dieses oder jenes zu unternehmen (was sie nicht mehr tragen konnte) – wie oft steht wohl der Neid (des Besitzlosen 😉 ) dahinter? Wenn man so liest, was den Geistlichen auf Konzilen untersagt wurde (was sie also getragen haben), dann wird auch in die Predigten so manches Mönches, der nicht einer begüterten Familie entstammte oder Pfarrers, dessen Gemeinde die Kollekte nicht vergoldete, ein allzu Menschliches: „wenn ich das nicht haben kann, dann sollen die Anderen es auch nicht kriegen“, getarnt hinter christlicher Demut, eingeflossen sein.

Almerlin-Blog2018_mittelalter-gewandung-recherche_um1503Tafelbild 1503 Ausschnitt: man erkennt die Stoffarten, das Ärmelfutter, den Pelzbesatz…
Neben schriftlichen Aufzeichnungen habe ich bildliche Zeitzeugnisse wie Altar- und insbesondere Tafelbilder, Bücher wie „Venus und Mars“, figürliche Holzschnitzereien, Heiligendarstellungen in und an Kirchen, Tapisserien und alles, was ich an Originalen (wie zum Beispiel die Alpirsbacher Hose) ausfindig gemacht habe, mit in die Entwicklung von Schnitten einbezogen. Wie zahlreiche Detailfotos noch zeigen werden, haben die Maler und Chronisten sehr genau gearbeitet.

Für die unendlich vielen Varianten mittelalterlicher Gewandung – ob Ärmelformen, Kopfbedeckungen, Ausschnitte, Gürteltaschen, Verschlüsse, Materialien, Schmuck sind die bildlichen Darstellungen ebenfalls eine unerschöpfliche Quelle. Ich habe mittlerweile wahrscheinlich Tausende Fotos gemacht, denn in Büchern, Ausstellungskatalogen, auf den Websites finden sich leider nie gute Detailaufnahmen oder so hochauflösende Fotos, dass die für das Nachmachen/ Replizieren wichtigen Details gut erkennbar sind.
Und ganz klar gesagt: es gibt fast nichts an Variation, individueller Interpretation was es nicht gibt! Also nur Mut zum Einzelstück 😉 😉 !
Natürlich findet sich auch immer wieder ein neuer Anreiz: „das möchte ich auch mal machen/ haben…“

Mittlerweile habe ich einen ganzen Schrank voll Gewandung…

MEIN „ERSTERWÄHNUNGSLEXIKON“

Vorwort frei nach und mit Dr. Alwin Schultz

„Man muss immer im Auge behalten, dass alle die Historiker, die Satiriker, die Sittenprediger und Moralisten nur Ausschreitungen der Mode schildern, und dass die große Menge des Volkes an diesen Torheiten doch nur bescheidenen Anteil genommen hat. Die Kleidung der auf Grabdenkmälern abgebildeten Toten vermittelt immer nur einen Eindruck der Kleidung, die als ehrbar und anständig galt. Datierte Bilderhandschriften bieten sehr gute Beiträge zur herrschenden Mode. Aber gerade die in den Luxusgesetzen verpönten, von den Predigern getadelten Kleider werden wir auch in Miniaturen und Zeichnungen selten dargestellt finden. Die Heiligen, die in modischer Kleidung gemalt wurden, die Helden und Heldinnen in den Ritterromanen sind wohl immer nur so angezogen, wie es der größeren Menge züchtig, ehrbar und schicklich erschien. Feinde, Angreifer, Ungläubige wurden hingegen in ihrer Kleidung abartig und bewußt fremdartig dargestellt, so dass es schwerfällt, diese Elemente der Kleidung, Rüstung, Ausrüstung als tatsächlich so getragen anzunehmen.

Es decken sich also keinesfalls die von den gleichzeitigen Schriftstellern gegebenen Beschreibungen mit den Bildern, die wir den Denkmälern der bildenden Kunst derselben Epoche entnehmen und es erscheint deshalb kaum möglich, Bilder und schriftliche Zeugnisse in Einklang zu bringen. Kleiderordnungen, aber auch Polizeiordnungen und Chroniken bieten deshalb eine so wichtige Quelle, weil sie sich zum einen immer an den Bürger, als an den „ganz normalen“ Menschen richten und das, was in ihnen beschrieben bzw. untersagt wird, keine Besonderheiten oder Einzelfälle gewesen sein können. Es waren gewandungstechnische Details, die unter eben diesem ganz normalen mittelalterlichen Menschen weit verbreitet gewesen sein müssen, zumal sie in Kleiderordnungen verschiedenster Städte auftauchen. Ein gerade im Hinblick auf die Verwendung luxuriöser Stoffe, Seide, Pelze, Edelmetalle und Edelsteine, Zierrat beim „einfachen Volk“ sehr interessanter Aspekt bezogen auf eine möglichst genaue Darstellung.“

KLEIDERORDNUNGEN

Karl der Große erließ 808 die 1. Kleiderordnung, die die Kleidung nach dem Stand regelte. Im Laufe des Mittelalters dienten Kleiderordnungen immer mehr dem Zweck, gewisse Dinge dem Adel als Auszeichnung zu reservieren. Das früheste Kleider- und Luxusgesetz stammt aus dem Jahr 1180 aus Frankreich, ab 1350 gibt es solche Gesetze auch in deutschen Landen.
Kleidervorschriften vor 1350 richten sich gegen den Luxus, die „Hoffart“ und „Üppigkeit“, Kleiderordnungen des 14. und 15. Jahrhunderts versuchen der neuen Kleidungsmode Herr zu werden.
Was Städte wie Straßburg, Ulm, Speyer, Nürnberg und Zürich alles an Besätzen, Stoffen, Zutaten und Schnitten ihren Bürgern untersagt haben, mutet schon fast komisch an – Bologna ging in seiner Kleiderordnung 1453 sogar soweit, das Futter der Anzüge zu berücksichtigen…

zum Abschluß:
Die Augsburger Kleiderordnung von 1582 legt zwar noch fest, daß der Gebrauch teurer Stoffe den höheren Ständen vorbehalten ist, Die Ordnung enthält nicht ein einziges generell verbotenes Kleidungsstück!

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