3 Die Jugendstil- und Bauhausstilstoffe der Wiener Werkstätte – Kunst und Avantgarde

Beitrag zur Entstehung und Entwicklung der Jugendstilstoffe und Bauhausstilstoffe der Wiener Werkstätte von den Anfängen bis 1930

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William Morris Stoff Blackthorn Druck auf Baumwolle
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Charles F. A. Voysey Stoffentwurf 1900

Wiener Architekten des Secessionskreises verwendeten um 1900 englische Jugendstilstoffe (von William Morris, Charles Voysey, Walter Crane) für ihre Innenraumgestaltung. Das waren eher üppige, flächendeckende florale Muster oder stilisierte florale Muster mit großen Rapporten.

Das Interesse an der Flächengestaltung und der künstlerischen Interpretation von Naturformen führte zunehmend zu eigenen Entwürfen. Koloman Moser entwarf bereits vor 1900 eine ganz besondere Art von Flächenmustern, inspiriert von japanischen Holzschnitten.

Professor Josef Hoffmann war ein Meister insbesondere in der Reduzierung von Mustern auf kleinrapportige, abstrakte oder geometrische Formen, gipfelnd in der alleinigen Kombination von geraden Linien mit einem kleinen Ornament wie Oval, Dreieck oder Pfeil – diese Reduzierung fand im Bauhausstil ihre Vollendung. Beiden Künstlern werde ich noch einen eigenen Blogbeitrag widmen. Koloman Moser und Josef Hoffmann entwarfen schon um die Jahrhundertwende Stoffmuster, die von der Firma Backhausen und Söhne gewebt wurden und die sie mit Sicherheit für ihre Innenraumgestaltungen verwendeten. Ich habe Stoffmuster von 1898 von Koloman Moser gefunden, die Backhausen gewebt hat – allerdings weiß ich nicht, ob Backhausen Moser beauftragt hat, Stoffe zu entwerfen, oder Moser Stoffe für Aufträge von Backhausen hat weben lassen. Bis 1914 wurden für Bau- und Inneneinrichtungsprojekte der Wiener Werkstätte nahezu ausschließlich und in großer Fülle Stoffe nach eigenen Entwürfen verwendet.

Vor der Gründung einer eigenen Abteilung hat die WW erfolgreich mit der Firma Backhausen & Söhne zusammengearbeitet, einer Weberei für Polster- und Dekorationsstoffe, die aber auch in begrenztem Umfang Drucke herstellte.
1904 wurden mehrere Stoffe, die von Hoffmann für das Sanatorium Purkersdorf entworfen wurden, von Backhausen für die WW produziert: „Streber“, „Notschrei“, „Sehnsucht“ und ein Design, das bei Backhausen unter der Nummer 5226 geführt wird. Dabei war „Streber“ das abstrakteste Muster – Linien und verschieden große, sich plastisch vom seidenglänzenden Untergrund abhebende Dreiecke.
„Sehnsucht“ und seit kurzem „Streber“ sind heute noch erhältlich, Letzterer in mehreren Farbtönen von sanft bis kräftig.

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Stoffentwürfe von Josef Hoffmann 1904 für die WW, gewebt von Fa. Backhausen und Söhne

Vom Sanatorium habe ich auch noch Fotos gefunden, in denen andere Stoffe zu sehen sind. Diese vier scheinen aber eigens für Purkersorf entworfen worden zu sein. Andere Projekte, wie die Wohnung von Dr. Seewald in Wien, das Jagdhaus Hochreith, die Wohnung Stoneborough-Wittgenstein in Berlin, das Haus Brauner in Wien, das Landhaus von Paul Wittgenstein und die Wohnung von Hermann Wittgenstein oder das Palais Stoclet in Brüssel, wurden ebenfalls mit eigenen Stoffentwürfen ausgestattet.
In dieser Zeit bis 1910, in der meines Wissens nach nur Dekorations- und Polsterstoffe von der Wiener Werkstätte entworfen wurden, dominieren die kleinen, abstrakten, geometrischen Muster und die Liniendesigns von Professor Josef Hoffmann, daneben gibt es die Flächenmuster von Prof. Koloman Moser und die floralen Designs von Otto Czeschka.

Etwa 1910 gründete die WW ihre eigene Stoffabteilung, um die Stoffe auch meterweise einzeln verkaufen zu können, wahrscheinlich auch wegen zunehmender Beliebtheit von Druckstoffen. In erster Linie wurden Bekleidungsstoffe ins Programm aufgenommen, leichtere Qualitäten mit dekorativen Drucken, die schließlich einen Großteil der verkauften Stoffe ausmachten. Bei Backhausen wurden in der Mehrzahl festere Webstoffe hergestellt, deshalb ließ die WW die Drucke anderweitig herstellen. Die WW besaß allerdings nie eine eigene Weberei oder Druckerei, sie ließ nur Textilien in ihrem Namen weben und bedrucken, legte dabei aber wie immer großen Wert auf Sorgfalt und hohes handwerkliches Niveau.
Ab 1911 arbeitete die WW mit folgenden Stoffdruckereien zusammen:
Gustav Ziegler, Teltscher, Neunkirchner Druckfabrik, Ströbel & Co., M.B. Neumanns Söhne, Franz Bujatti, in der Schweiz Färberei und Appretur Gesellschaft Basel und Alpenländische Druckfabrik; auch mit deutschen und französischen Firmen wurde zusammengearbeitet.
Aus den 20er Jahren habe ich einige gewebte Stoffmuster in Polsterstoffqualität gefunden, hergestellt von der Möbelstoffweberei Wilhelm Vogel aus Chemnitz, die heute nicht mehr existiert.

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Stoff „Irland“ Entwurf Maria Likarz 1910
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Stoff „Ameise“ Entwurf Eduard Wimmer-Wisgrill 19010
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Ausstellungsraum der WW, gestaltet mit dem Design „Ameise“

Die große Zahl von Stoffentwürfen der Wiener Werkstätte zeigt deutlich die Freude am kreieren eigener Muster und die Beliebheit dieser Wiener Werkstätte Stoffe. Ausgehend vom Archiv des MAK Wien wurden von 1910-1918 ca. 550 Stoffmuster entworfen und auch produziert. Das bedeutet, dass jedes Jahr etwa 70 neue Stoffdesigns angeboten wurden – das zeigt ganz deutlich, welchen Stellenwert die Stoffabteilung hatte.
Beliebte Muster wurden sehr lange verkauft – das Design „Irland“ wurde beispielsweise von 1912-1929 verkauft.
Zum Beispiel das von Eduard J. Wimmer Wisgrill 1910 entworfene Design „Ameise“ wurde sowohl für Kleiderstoffe, Dekorations- und Polsterstoffe und sogar als Teppichmuster verwendet.

1911 wurde eine eigene Modeabteilung gegründet, es bestanden später Werkstätten für Mode- und Wirkwaren, Perlarbeiten, Stickereien und Stoffbemalung, besondere Accessoires wurden in Heimarbeit gefertigt.
Die Stoffe der WW wurden zu folgenden Dingen verarbeitet:
In der Anfangszeit wurden die Stoffe für die Inneneinrichtung verwendet: Polstertoffe, Wandbepannung, Fensterdekorationen.
Verkaufslokale und Filialen wurden mit den Stoffen ausgetattet, Vitrinen damit ausgeschlagen („Corporate Identity“).
Unmittelbar nach 1910 wurden die Stoffe für Kleidung verarbeitet, 1911 wurde die Modeabteilung eröffnet.
Zahlreiche Accessoires wurden daraus gefertigt:

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Postkarte mit Stoffmuster „Geier“ von Lotte Frömel

● Schirme, Lampenschirme und Kissen aus Seide
● Shawls, Stolas, Tischtücher und Servietten
● Schachteln, Bücher, Alben, Ostereier, Stoffblumen, Hüte und Hauben
● modische Accessoires wie gefütterte Beutelchen, Schuhe oder Handtaschen
Dagobert Peche entwarf mehrere Stofftiere, nicht unbedingt als Spielzeug gedacht, die aus Seidenstoffen angefertigt wurden
Außerdem gab es Postkarten mit Stoffmustern, herausgegeben vom Lehrlingsheim Zukunft

„Der künstlerischen Freiheit, die ihre Grenzen in der qualifizierten wirtschaftlichen Machbarkeit findet, hat die Wiener Werkstätte stets den Vorrang eingeräumt. Auf diese Weise entstanden … Stoffbahnen, deren Herstellungskosten oft in keinem rentablen Verhältnis zu den Verkaufsmöglichkeiten standen.“ A. Völkel „Die Stoffe der Wiener Werkstätte“ S.137
Die WW entwarf Druckstoffe mit mehrfarbigen Mustern, für die bis zu 24 Modeln benötigt wurden!
1927: Model: „Von diesen Fabrikationsbehelfen sind ca. 3000 Garnituren vorrätig. …von denen die nicht benötigten Stücke an Handdrucker in der Provinz abgesetzt zu werden pflegen.“ Revisionsbericht der WW von 1927

1927: „Es befinden sich im Besitze der WW über 13.000 Handzeichnungen von Künstlern, welche zum Teil Weltruf besitzen. Diese Entwürfe haben einen sehr ansehnlichen, kaum zu schätzenden Wert und werden auch zeitweise abverkauft.“ Revisionsbericht der WW

1928 Die Freiheit, Wien: „Meilenweit ist jedes Kleid im Material als WW erkennbar, Lob und Tadel zugleich.“

Wenn man die Muster in chronologischer Reihenfolge betrachtet, fallen schon bestimmte stilistische Mermale auf – zum einen Vorlieben, die die jeweiligen Designer hatten, zum anderen Inspirationen durch verschiedene Ereignisse (die „Kriegsmuster“ aus den Jahren 1912-1918), Kunstrichtungen (klar erkennbar der Einfluß des Kubismus, einer ab 1907 entstandenen Kunstrichtung), Ausstellungen, ausländische Designer.
In den Anfangsjahren kann man speziell bei den geometrischen Mustern zwei Farbperioden erkennen: zunächst überwiegen dunkle Farben, dann helle Farben, Pastells, Pudertöne.

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Beispiel Kriegsmuster „Blitz“ Entwurf Carl Krenek um 1912
1928wiener_werkstaette_stadlmayer_stoff_hongkong
Beispiel Kubismusdesign „Hongkong“ Entwurf 1928 Stadlmayer
1930wiener_werkstaette_likarz_stoff_radio_entwurf
Beispiel Design Zeitereignis Entwurf „Radio“ Maria Likarz 1930

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