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Historische Fahnen für ein historisches Schiff – Restaurant Carlos Lünen
Es war Freitag, der 13. September, als mich ein Architekt, Herr Hanke, anrief und nach Stoffen für historische Fahnen fragte. Da ich solche schon angefertigt habe, hatte ich Ideen und Anregungen – wir verblieben so, dass der mit der Fertigung beauftragte Raumausstatter sich kurzfristig bei mir melden würde, was dieser dann auch tat. Das Gespräch zeigte, dass er keine echten Vorstellungen hatte. Da es um ein Objekt in Lünen ging und ich das Wochenende ohnehin in Oberhausen sein würde, bot ich ihm an, mir das Ganze vor Ort anzusehen und anhand der Vorgaben des Architekten zu besprechen. Froh willigte er ein. So kamen mein Partner und ich zu einem, wie sich herausstellen sollte, interessanten Sonntagsausflug, der einen außergewöhnlichen Auftrag nach sich ziehen sollte…
Für Sonntag, den 15. September, hatte mir meine Partnerin einen intellektuellen Höhepunkt bei einer Besichtigung eines „Objektes“ in Lünen, Westfalen, versprochen. Da sie Handel mit Stoffen des Mittelalters, der Renaissance und anderer Epochen betreibt, war ich gespannt, was mich erwartete.
Als wir dann an einem doch sehr modern anmutendem Gebäude parkten und ich einige geschäftige Menschen an einem schiffsrumpfähnlichen Gebilde sah, wurde mein Interesse geweckt. Hier sollte doch tatsächlich ein möglichst getreuer Nachbau einer portugiesischen Caravelle aus der Zeit der großen Entdeckungen entstehen und das in nur noch 6 Wochen verbleibender Bauzeit! Ich war amüsiert! Hätten Sie diesen Rohbau gesehen, würden Sie mir jetzt noch beipflichten. Meine Partnerin war vom zuständigen Architekten, der an diesem Sonntag allerdings nicht zugegen war, als „Expertin für das Altertum“ entdeckt worden – denn in diesem Gewerk ging es um die Fertigung zweier möglichst naturgetreuer Fahnen aus jener Zeit: einer Art damaliger Landesflagge und einer Hommage an die neuen Besitzer Carlos und Carminha, ihres Zeichens Gastronomen aus Dortmund, die hier eine tolle Erlebnisgastronomie aus der Taufe heben wollen!
Kleiner Schönheitsfehler am Rande: meine Partnerin hatte sich in diesem Metier auch noch nicht versucht! Das hielt sie aber nicht davon ab, sich dieser fantastischen Idee sofort zu verschreiben und so entstand ein umtriebiges Gespräch mit dem Bauherrn Herr Liebeck von der Firma Timbercraft Schwerte und dem anwesenden Raumausstatter, die sich mit den Zeichnungen des Herrn Hanke und eigenen Vorstellungen einbrachten.
Da ich der Raumausstattungsbranche als Sprössling entstamme, war mir die Kommunikation nun wirklich nicht fremd – wohl aber der Zeitplan! „Hallooo?!?“, dachte ich mir, „ihr seid hier noch im Rohbau und in 6 Wochen soll alles stehen?!“ Nun, man fand zusammen und wie so oft im Leben geschehen sie, diese „kleinen Wunder“ als Ergebnis der Umtriebigkeit von Menschen mit Visionen – Respekt! Die Eröffnung am Samstag, den 26. Oktober, hat kulinarisch und visuell keinerlei Wünsche offen gelassen. So überlasse ich den fachlichen „Input“ dieses Making offs den „Könnern“ ihres Fachs und freue mich auf neue schriftliche Niederlegungen eines verbalen Kranzes voller Ideen und deren Verwirklichung durch Künstler!
Leo R.
Das Navi führte uns am Sonntag in die Innenstadt von Lünen zu einem modernen Neubau im Bauhausstil: eckig, stylisch, Glas, Beton. Unten hinter einem Bauzaun eine raumhohe Fensterfront, überall Handwerker und dahinter ….tatsächlich ein altes Schiff! Im Rohbau, unfertig, grob behauen – aber altertümlich und schon jetzt: wow! mit einem Charme, der mich sofort einnahm. Der Raumausstatter D. Reitzig – jugendlich dynamisch – zeigte mir zwei Arbeitsblätter des Architekten. Darauf waren Entwürfe, Visionen, die auf die Zeit abzielten, als portugiesische Schiffe mit stolz geblähten Segeln und selbstbewusst gehissten Flaggen die Welt entdeckten und die Meere beherrschten. Eine Standarte und eine zweispitzige Fahne waren skizziert – und ich merkte sofort, dass der Raumausstatter noch nicht genau wußte, wie er diese Vorstellungen umsetzen sollte, noch dazu bis zur Eröffnung am 26.10.! Ich war fasziniert und hatte sofort Ideen (na klar!), wie, woraus sie gefertigt werden müssten und kommunizierte das nicht nur dem Raumausstatter, sondern auch dem dazu gekommenen Bauleiter Oliver Liebeck und nach kurzer Zeit war klar, dass ich die Fahnen fertigen würde.
Fünf Wochen Zeit und die zu verwendenden Borten, Fransen, Kordeln mussten extra gefertigt werden…Die Blätter bekam ich mit und gleich am Montag beschäftigte ich mich intensiv mit der Umsetzung, erstellte einen Kostenvoranschlag…und bekam das Okay von Herrn Liebeck. Die Fertigung der Borten dauerte drei Wochen, die Stoffe mussten beschafft werden, der zeitliche Aufwand war nur grob einschätzbar…da kamen zwei harte Wochen im Oktober auf mich zu und ich freute mich darauf! Was für ein Projekt!
Am Sonntag, den 12. Oktober, gings dann richtig los. Vorher hatte ich schon die einzelnen Elemente recherchiert: Armillasphäre (auch Weltmaschine und bis heute Teil der portugiesischen Fahne), Kreuz (das typische rot-weiße Kreuz des portugiesischen Ordens der Christusritter, dass häufig die Segel zierte), Capitalis Monumentalis als Schriftart (im Ursprung eine römische Schrift, die in der Renaissance sehr beliebt war)…Der Stoff war beschafft in passenden Farben – herrlicher Wollsatin und beste Seide – und die Borten waren geliefert.
Als Erstes wollte ich das zeitaufwändigste Element der Standarte fertigen: die stilisierte Armillasphäre. Ich formte sie komplett aus verschiedenen Goldborten, größtenteils nur etwa 3 mm breit. Um einen plastischen Effekt zu erzielen, nähte ich teilweise mehrere Lagen übereinander. Als Trägergewebe verwendete ich altgoldene Seide. Mittwochmittag war ich fertig mit beiden (doppelseitig) und der darüber befindlichen Krone.
…Dann kamen die Namen der beiden Restaurantbetreiber: „Carlos et Carminha“. Jeder Buchstabe aus schmaler antikgoldener Borte mehrlagig gelegt. Das war eine Arbeit! 30 etwa 10 cm große Buchstaben und pro Buchstabe benötigte ich zwischen 20 und 30 Minuten. ..und irgendwann flimmert es nur noch golden vor den Augen und man sieht gar nicht mehr, ob man auf der richtigen Borte näht…Donnerstagmittag nähte ich die letzten Buchstaben und dann konnte ich die Standarte nähen. Donnerstag arbeitete ich bis 20.30 Uhr, Freitag gings früh weiter, die Kronen bestickte ich noch von Hand mit Perlen und einem Kreuz, am Abend war die Standarte fertig bis auf die Schlaufen seitlich für die Stange, deren Maß ich noch nicht hatte.
Für die etwa 11 Meter! lange Fahne brauchte ich die Buchstaben noch ein zweites Mal…das erledigte ich am Wochenende. Am Montag gings dann weiter mit den beiden Kreuzen, die ich doppellagig nähte, hinten mit der weißen Seide des Untergrundes abgefüttert. Montagnachmittag dann der Anruf von Herrn Liebeck: „Klappt alles? Spätestens Mittwoch…“ Montagabend war das etwa 1,60 Meter breite Element mit den Kreuzen fertig. Dienstag folgte das Element mit den Namen und dazwischen der rote Streifen den ich aus einem meiner mittelalterlichen Damaste und blutroter Seide zusammensetzte. Mittwochvormittag war das vordere Element der Fahne – die ersten 3 Meter – fertig und es kam die letzte große Herausforderung: die beiden ca. 8 Meter langen Spitzen, die „wie im Wind wehend“ formbar sein sollten und die ich deshalb mit einem Kern aus einem feinen Metallgitter versehen wollte.
Der Zuschnitt des Metallgitters war mein größter Angstfaktor – wo hatte ich 8 Meter Boden ohne Hindernis? Mit Hilfe meines Partners fand ich den richtigen Platz und wir schafften den Zuschnitt. Nun noch den Stoff drum herum bekommen und an die restliche Fahne ansetzen…es wurde eine lange Nacht, nur unterbrochen von einem Besuch meiner Freundin am Abend. Drei Uhr morgens fiel ich ins Bett – geschafft, alles fertig und alles so, wie ich es geplant hatte!!!
Am Mittwoch fuhr ich dann gemeinsam mit meinem Partner nach Lünen – wow, da war wirklich ein altes Schiff! restaurant Aber immer noch eine einzige große Baustelle, zig Leute waren am abschleifen der Planken, des Bodens…am Samstag Eröffnung? Nur gut, dass ich meinen Auftrag fertig hatte. Oder doch nicht? Herr Liebeck bestellte noch zwei Fahnen mit Kreuz für die Seitenwände des Schiffes und vier hochwertige Kissen für die Ecken der sich an den Schiffswänden entlang ziehenden Bänke. Ein fantastischer Bauherr! Ich kenne nur wenige Menschen, die Visionen so umsetzen können und vor allem wirklich alt und nicht nur „auf alt“ verwirklichen können. Hier sah man sofort die Liebe zum Detail und die Hingabe – genau meine Wellenlänge! Die vom Raumausstatter passgenau gefertigten Bänke mit Rautenheftung – aus antikisierten braunen Leder die Sitzfläche, aus dunkelgrünem oder dunkelrotem Samt der Rücken – passten optimal. Tja, noch einmal einige Stunden Arbeit, aber dafür das unbezahlbare Privileg, die Sachen am Samstag direkt vor der Eröffnung noch an- und unter zu bringen und vor allem Fotos machen zu dürfen, bevor die Besucher kamen! Ich denke, die Bilder sagen mehr als tausend Worte! …Lust, mal außergewöhnlich essen zu gehen? Restaurant Carlos!
Das ganze Fotoalbum findet Ihr HIER auf meiner Facebook-Seite.