Mittelalterliche gemusterte (Seidenbrokat) Stoffe, teilweise wie neu, interessante Details zur Verarbeitung

Der Halberstädter Dom-Schatz: für mich sind es die Kaseln und andere liturgische Textilien aus mittelalterlichen Brokat-Stoffen in einzigartiger Qualität und die ältesten deutschen gewirkten Wandteppiche!

Wer weiß schon, dass in der kleinen Stadt Halberstadt südlich von Magdeburg (und zu Ostzeiten bekannt für seine Halko Wienerwürstchen 😉 ) nicht nur ein großer Dom steht, sondern dieser auch die größte mittelalterliche Dom-Schatzkammer Europas beherbergt? Ein Schatz aus 650 Objekten, der die  Reformation, die Säkularisation und zwei Weltkriege und die amerikanischen Sieger ohne Verlust überstanden hat und zu den weltweit größten und kostbarsten Kirchenschätzen zählt?

AlmerlinBlog_15.jahrhundert_granatapfelbrokat_mit_samt
Nun wird „DER“ Schatz gemeinhin als die Sammlung einzigartiger Goldschmiede- und Elfenbeinarbeiten und wunderschöner Berkristallschnitzereien in der Schatzkammer angesehen, aber die textilen Schätze sind für mich die weitaus kostbareren Schätze – zum Niederknieen schön!

Es gibt zwei Ausstellungsbereiche: ein Raum zeigt die wunderschönen Wandteppiche, die ältesten gewirkten deutschen (in Norddeutschland) Wandteppiche überhaupt und einen unglaublich detailliert gewebten Wandteppich aus dem Spätmittelalter und ein anderer Raum zeigt liturgische Gewänder vorwiegend aus den herrlichen italienischen Seidenbrokaten des 14. und 15. Jahrhunderts (in einem teilweise unglaublich guten Erhaltungszustand!), einige wesentliche ältere Kaseln aus mit byzantinisch anmutenden Mustern bestickter Seide und diverse andere textile Schätze – Pontifikalhandschuhe, Altartücher, Bischofsmützen etc..
Die Feinheit der Muster, der Gewebe, der kleinteiligen Stickereien, des nur zu erahnenden zeitlichen Aufwandes lässt den Ansatz des „dunklen, rückständigen, einfachen“ Mittelalters der groben Leinenkittel und zentimetergroßen Handstiche ersatzlos hinter Respekt und Demut verschwinden….ein vollkommen anderes Zeitverständnis als heute. Das Erschaffen eines solch feinfädigen Stoffes mit fantastischen Figuren oder Granatapfelmotiven, zu kostbar, um selbst kleinste Stücke einfach wegzuwerfen, muss doch stolz gemacht haben, ein solches Altartuch mit winzigen Stichen in unzähligen Stunden zu sticken muss doch fast meditativ gewesen sein – man konnte die Herrlichkeit von Gottes Schöpfung förmlich unter den eigenen Fingern entstehen lassen. 

Die beiden Prozessionsfahnen sind ein gutes Beispiel dafür, wie kostbar und besonders die italienischen Seidenbrokate zu dieser Zeit gewesen sind. Sie sind aus mehreren Stücken zusammengesetzt, gegengleich und der Stoff weist ganz unterschiedliche Abnutzungsgrade auf. Für mich sieht es aus, als hätte ein sehr wohlhabendes weibliches Gemeindemitglied ein getragenes Gewand gestiftet. Auf den Fahnen findet sich die Form einer Schleppe, der Stoff ist an dieser Stelle sehr abgenutzt, weiter oben, im oberen Bereich der Fahne hingegen noch „so gut wie neu“. Dafür besteht er dort aus einzelnen Teilen, die ursprünglich vielleicht figurnah zusammengenäht waren und jetzt als Streifen auf einen gelben Unterstoff genäht sind. Der ursprünglich hellgrüne Seidenbrokat urde in Italien gewebt, ein typischer Tierstoff des 14. Jahrhunderts. Hier handelt es sich um Vögel (die noch gut den chinesischen Ursprung erkennen lassen) und Hunde.
Ein ähnliches „Stückwerk“ habe ich als Kasel gearbeitet im Brandenburger Dommuseum gesehen.

Was mich natürlich sehr freut: zwei der Stoffe bietet Almerlin an – den Granatapfelstoff in Mustergröße und Feinheit als Replik, den Basiliskenstoff nicht als feinstfädigen Seidenbrokat, sondern als dicken Wollbrokat mit wesentlich größerem Musterrapport, aber das Muster ist identisch.

Außerdem konnte ich hier endlich einmal einen der im Danziger Paramentenschatz so eindrucksvoll beschriebenen, aber in der Druckqualität von vor 100 Jahren abgebildeten Löwenstoff im Original sehen – unglaublich schön!

Originalstoff_mittelalter_loewenstoffLöwenbrokatstoff Italien 14./15. Jahrhundert

Dann gibt es da noch mehrere Pontifikalhandschuhe – naturweiß mit liturgischen Stickerein in rot und Gold und laut Beschriftung in Niedersachsen im 14./ 15. Jahrhundert – die sind eindeutig gestrickt! Aus sehr feinem Garn mit vielleicht 1 mm dicken Nadeln („Zahnstocher-dick“) eindeutig in der heutigen Strickart hergestellt. War/ ist ja auch gern ein Streitthema in der mittelalterlichen Darstellung.

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