Zwei besondere neue Bauhausstilstoffe: Kokain und Atho

Bauhausstilstoffe JU2090 Kokain und JU2095 Atho
Bauhausstilstoffe JU2090 Kokain und JU2095 Atho

Ich habe zwei interessante neue Stoffe im Bauhausstil ins Sortiment aufgenommen und versucht, etwas über sie heraus zu finden. Die Recherche war spannend, hat nicht alle Geheimnisse gelüftet, aber viel Spaß gemacht und die Stoffe sind in Design und Qualität so besonders, dass sie einen eigenen Beitrag verdienen. Es handelt sich um die Stoffe „Kokain“ und „Atho“, beides Entwürfe Wiener Künstler aus dem umfangreichen Archiv der Weberei, die sie wieder neu aufgelegt hat als hochwertige Möbel- und Dekostoffe aus reiner Schurwolle.
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Bauhausstoff Kokain schwarz, auch in weiß

Kokain (Originalname „Cocain“) ist ein Entwurf von Erika von Trauschenfels aus dem Jahr 1931. Leider ist es mir nicht gelungen, etwas über die Künstlerin heraus zu finden, vermutlich ist sie ein Mitglied der ungarisch-siebenbürgischen Adelsfamilie von Trauschenfels, die durchaus eine Verbindung nach Wien hatte (Eugen Trausch von Trauschenfels besucht beispielsweise von 1852-55 die Wiener Hochschule und lebte von 1876-96 in seiner Funktion als weltlicher Ratsherr im evangelischen Oberkirchenrat in Wien). Aber warum sie ihren Entwurf Kokain nannte…dafür habe ich eine Idee.
Kokain war die Modedroge der 20er Jahre in den Metropolen Europas und vor allem in der Bohème-Szene bei Künstlern und Literaten sehr beliebt. Die junge Erwachsenengeneration wollte nur eines: leben, erleben, Spaß haben und sich amüsieren, als gäbe es kein morgen, da das morgen der Nachkriegszeit und der Wirtschaftskrise ohnehin sehr ungewiß schien. Eine Deutsche verkörperte diesen Livestyle wie keine andere: Anita Berner (1899-1928), Tänzerin und Stummfilmdiva „kokainschnüffelnde Galionsfigur der prassenden Dekadenz-Gesellschaft.“ (Ponkie 1988 zum Filmstart von „Anita – Tänze des Lasters“). Sie gastierte von 1922 bis 1923 in Wien, wo sie mit ihren Nackttänzen, die sie »Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase« nannte, die Nachtklubszene „aufmischte“. Sie war hemmungslos, tabulos, genuss- und vergnügungssüchtig und freizügig. Sie lebte im Moment, das Wort Zukunft hatte keine Bedeutung für sie. Ein Foto der damals angesagtesten Wiener Fotografin Madame d’Ora (bürgerlich Frieda Kallmus) zeigt sie in einer Pose, die sehr an Gustav Klimts Gemälde „Judith 1“ von 1901 erinnert, der Inbegriff einer Femme Fatale (Femme Fatale „ist ein besonders attraktiver und verführerischer Frauentypus, der – mit magisch-dämonischen Zügen ausgestattet – Männer erotisch an sich bindet, sie aber auch manipuliert, ihre Moral untergräbt und sie meist auch auf ‚fatale‘ Weise ins Unglück stürzt. Gleichzeitig verspricht sie dem verführten Mann ein Höchstmaß an Liebeserfüllung.“ Definition Wikipedia)

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1923 schrieb sie ihr Gedicht „Kokain“:

Wände
Tisch
Schatten und Katzen
Grüne Augen
Viele Augen
Millionenfache Augen
Das Weib
Nervöses zerflatterndes Begehren
Aufflackerndes Leben
Schwälende Lampe
Tanzender Schatten
Kleiner Schatten
Großer Schatten
Der Schatten
Oh – der Sprung über den Schatten
Er quält, dieser Schatten
Er martert, dieser Schatten
Er frißt mich, dieser Schatten
Was will dieser Schatten
Kokain

Aufschrei
Tiere
Blut
Alkohol
Schmerzen
Viele Schmerzen
Und die Augen
Die Tiere
Die Mäuse
Das Licht
Dieser Schatten
Dieser schrecklich große schwarze Schatten.

Anita Berber, 1899-1928

1928 gab es eine erste prominente Kokaintote in Berlin: Anita Berber. 1930 trat das Betäubungsmittelgesetz in Deutschland in Kraft, das Kokain verbietet und damit illegalisiert. Die anderen europäischen Länder folgten, so auch Österreich. Kokain hinterließ in den 20ern eine „weiße“ Spur im Wien der Nachkriegszeit und der Stoff „Kokain“ hat ein wenig von einem „Cocolores“, einem Kokainrausch. Hat Erika von Trauschenfels Kokain selbst probiert oder Kokainberauschte erlebt? Ich weiß es nicht, aber der Name passt auf jeden Fall zu diesem ausgefallenen Muster!

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Bauhausstoff Atho beige mit schwarz-weiß, auch in grau

Atho ist ein Entwurf von Professor Josef Hoffmann von 1930. Bei diesem kombiniert Hoffmann sein typisches kleinrapportiges geometrisches Design mit untegelmäßigen einfarbigen Flecken, so dass der Stoff im Ganzen ungleichmäßig und unsymmetrisch wirkt. Eher untypisch für Prof. Hoffmann…
Und das Ganze nennt er Atho – Athos? Athos ist ein über 2000 Meter hoher Berg auf der griechischen Halbinsel Chaldiki. Der Heilige Berg Athos (griechisch Άθως, Àthos; im Griechischen meist Άγιον Όρος, Ágion Óros, „Heiliger Berg“) ist eine orthodoxe Mönchsrepublik mit autonomem Status unter griechischer Souveränität (siehe https://de.m.wikipedia.org/wiki/Athos). Die Klöster entstanden bereits im Mittelalter, das erste der heute zum Weltkulturerbe zählenden 20 Großklöster wurde 963 gegründet. Das klösterliche Leben folgt bis heute vielen byzantinischen Traditionen, beispielsweise dem Julianischen Kalender.
Seit dieser Zeit sind die Werkstätten der Mönche berühmt für ihre Ikonenmalerei.
Übrigens bis heute ist Frauen das Betreten der Mönchsrepublik untersagt, eine Praxis, die auf immer mehr Kritik stößt, da nicht mehr zeitgemäß. Angeblich gab es früher nicht einmal weibliche Haustiere….
Um den Berg befinden sich Mönchskloster. Schaut man sich diese an – ob das Kloster Simonos Petras, Kloster Osiou Gregoriou[/caption] oder Kloster Dionysio….

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Kloster Simonos Petras
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Kloster Dionysio
Kloster Mount Athos Osiou Gregoriou
Kloster Osiou Gregoriou

…fühlt man sich an den Stoff erinnert: unregelmäßige Felsen, auf denen Gebäude mit vielen kleinen (gleichmäßigen eckigen) Fenstern stehen. Fantasie oder Inspiration? Ich finde, es passt. Auch die Farbwahl in beige oder grau, kombiniert mit schwarz-weiß, erinnert an die Klöster auf den Felsen.

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